In der heute erschienenen polizeilichen Kriminalstatistik zeigte sich, dass Mönchengladbach zu dem 10 sichersten Großstädten gehört. Das ist durchaus bemerkenswert, da unsere größeren Nachbarstädte Düsseldorf und Köln zu den 10 unsichersten Städten gehören. Nun, das mag logisch erscheinen; die Städte sind auch bedeutend größer und belebter, gleichzeitig ist aber das noch größere München die sicherste Großstadt Deutschlands.
Die Platzierung von Mönchengladbach überrascht insofern, da regelmäßige Berichte in den Medien über Körperverletzungen, Vergewaltigungen oder Morde ein anderes Bild vermitteln. Oder warum sonst scheint es nötig, dass wir rund um die Uhr in der Öffentlichkeit von Kameras beobachtet werden?
Es geht dabei um gefühlte Sicherheit. Kameras werden wie ein Allheilmittel gegen Kriminalität gehandelt. Kurz nach den Terroranschlägen von Boston meldete sich Bundesinnenminister Friedrich mit der Forderung nach mehr öffentlicher Videoüberwachung zu Wort. Dies scheint eine Art populistischer Reflex auf Terrorismus zu sein. Während der Norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg nach dem Massaker von Utøya 2011 besonnen zu mehr Demokratie und Menschlichkeit aufrief, scheint hierzulande das Bedürfnis zu steigen, Angriffe auf unsere Freiheit mit einer Beschränkung eben dieser zu beantworten.
Doch was hat das mit der Sicherheit in Mönchengladbach zu tun? Die Mönchengladbacher Altstadt und der Alte Markt werden seit 2004 von Kameras überwacht. Daran haben wir uns irgendwie gewöhnt und so richtig hat es auch kaum jemanden gestört. Warum auch? “Ist ja nicht schlimm. Ich lass mir ja nichts zu schulden kommen.”
Dieses Argument taucht immer wieder in der Diskussion um die Überwachung auf. Dass es nur von grober Unkenntnis der Problematik zeugt, zeigt sich leider erst bei detaillierter Betrachtung der Lage.
Durch die Kameraüberwachung wird in die Grundrechte einer und eines jeden Einzelnen eingegriffen, die/der sich im im betroffenen Gebiet aufhält. Das ist ebenso abstrakt wie der Aspekt, dass man durch diese Art der staatlichen Beobachtung unter den generellen Verdacht gestellt wird ein Straftäter zu sein. Dieser Verdacht steht allerdings unserem rechtsstaatlichem Prinzip der Unschuldsvermutung entgegen. “Was soll’s?” werden sich hier wieder die meisten fragen, “ich krieg es ja nicht mit!”.
Deutlicher wird die Problematik vielleicht, wenn man diesen Einwand auf ein anderes Grundrecht überträgt. Man stelle sich einfach mal vor, dass Polizeibeamte die Wohnung betreten würden, um einfach mal zu gucken, ob sie was finden. Nun ließe sich auch hier einwenden: “Was soll’s? Ich hab ja nichts Verbotenes zuhause. Und aufgeräumt habe ich auch.”
Oder von staatlicher Seite würde unser gesamter Kommunikationsverkehr (digital und analog) kontrolliert, nur um zu gucken, ob man was findet. Das mag in Zeiten von massenhafter Datensammlung durch Facebook und Google weniger dramatisch erscheinen, doch wer etwas auf unsere Grundrechte hält, wird hier schon überlegen, ob man denn unbedingt überwacht werden möchte.
Hier ließe sich trefflich einwenden, dass es in England mit der flächendeckenden Videoüberwachung noch viel schlimmer sei – was sich schnell als Scheinargument erweist. Nur weil es “schlimmer” geht, bedeutet das ja nicht, dass man die Überwachung deswegen in Kauf nehmen müsse. Zudem hat man auch in England erkannt, dass eine flächendeckende Überwachung nicht zu einer Senkung der Kriminalität führte, weshalb die sehr kostenintensive Überwachung nun zurückgebaut wird.
Zu einer derartige Erkenntnis sollte man auch in Mönchengladbach gekommen sein. Schließlich muss der Stadtrat jedes Jahr auf neue beschließen, die Überwachung fortzusetzen. Dafür muss die Polizei darlegen, dass es sich beim beobachteten Areal um einen Kriminalitätsschwerpunkt handelt. An diesem Charakter scheint auch die Kameraüberwachung seit 2004 nichts geändert zu haben, weshalb sich die Verantwortlichen die Frage nach der Wirksamkeit des Mittels stellen müssen.
Steht also der Nutzen der Maßnahme noch in einem zu rechtfertigenden Maße zum Grundrechtseingriff?
Mit Mönchengladbach startete 2004 auch Bielefeld als Modellkommune die Videoüberwachung. Dort ist man aber 2011 zu dem Schluss gekommen, dass sich die Überwachung aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht mehr rechtfertigen ließ.
Ein weiteres Argument, das gerne in Feld geführt wird, ist die Unterstützung der Polizei vor Ort. Durch die Kameras sei ein schnelleres Eingreifen möglich. Dass “möglich” noch lange nicht gleichbedeutend mit einem tatsächlichen Eintreten ist, konnte ich im vergangenen Sommer erleben:
An einem warmen Wochenendabend saß ich am St. Vith und beobachtete das Treiben auf dem Alten Markt. An der Mauer des Kirchvorplatzes versammelten sich Jugendliche, die wohl zum weiteren Umfeld Gäste des Balderich zu zählen waren. Sie beschäftigten sich mit der Pflege sozialer Kontakte und dem Konsum von alkoholischen Getränken. Irgendwie verlief die Kommunikation nicht so wie erhofft, so dass sich auf lauteren Diskussionen eine Schlägerei entwickelte, bei der auch auf am Boden liegende Personen eingetreten wurde. Da die Altstadtwache nicht weit ist und ich auch keine Lust hatte, unmittelbar in das Geschehen verwickelt zu werden, besuchte ich also die Wache, um die diensthabenden Beamten auf die Situation aufmerksam zu machen. Nachdem ich gut 5 bis 10 Minuten warten musste, bis mir der diensthabende Beamte Aufmerksamkeit schenken konnte, schwenke er mit der Kamera auf den Ort des Geschehens und zoomte heran. Die Schlägerei hatte sich mittlerweile aufgelöst, weshalb ich dem Beamten mitteilte, dass ich für evtl. Zeugenaussagen am St. Vith zu finden sei. Damit verließ ich die Wache wieder. Von der Tat als solche wurde nichts dokumentiert.
Später suchten die von der Schlägerei geschädigten Personen die Wache auf und kurz darauf nahmen zwei Polizeibeamte den Ort des Geschehenen in Augenschein. Weiter geschah nichts. Oder zumindest nichts, was ich verfolgen konnte.
Jedoch blieb die Erkenntnis, dass auch die flächendeckende Videoüberwachung nur sehr selektive Ausschnitte wahrnimmt und auch Personen, die Opfer einer kriminellen Handlung werden, sich nicht darauf verlassen können, dass die Polizei den Hergang ausreichend dokumentiert oder gar Notiz nimmt. Es ist lediglich zufällig möglich. Ebenso ist es möglich, wenn auch wahrscheinlicher, dass allein ein Ausschnitt aufgezeichnet wird, der den Tathergang nicht in ausreichendem Maße wiedergibt und unter Umständen allein Verteidigungshandlungen aufzeichnet.
Als positives Beispiel für den Nutzen der Kameras wird gerne die Massenschlägerei zwischen den Motorradclubs Hells Angels und Bandidos im Januar 2012 genannt. Es ist sicher, dass diese Schlägerei keine zufällige Begebenheit war, sondern sich die beiden Clubs gezielt verabredet haben. Sehr unwahrscheinlich ist, dass die Clubs nichts von der Überwachung wussten, sondern diese wenigstens in Kauf genommen haben. Es drängt sich also die Frage auf, ob sich die beiden rivalisierenden Clubs sich nicht sogar ganz bewusst für Mönchengladbach als Austragungsort entschieden haben, um zu zeigen, dass sie sich von staatlicher Gewalt nicht einschüchtern lassen.
Dass die Kameras die Sicherheit erhöhen, ist also ein Trugschluss. Mit gleicher Überzeugung könnte man sagen, dass ein Ficus im Wohnzimmer dafür sorgt, dass es nachts im Wohnzimmer nicht so kalt ist.
Ein weiterer Aspekt der Kameraüberwachung ist natürlich die rechtliche Komponente. Es ist unbestritten, dass die Aufzeichnungen dabei helfen können, Straftäter zu ermitteln. Doch dann ist Straftat bereits geschehen. Verhindert wurde die Straftat also nicht. Die englischsprachige Passage auf den Infotafel”This area is under video surveillance!” (dt. “Dieses Gebiet steht unter Videobeobachtung!”) ist also deutlich ehrlicher, als das deutschsprachige Versprechen, dass die Kameras dem Schutz von Straftaten dienten. Doch eigentlich sollen Kameras genau das. Wenigstens, wenn man dem Gesetzgeber glauben darf. Absicht war und ist die Kameras als präventiv wirkendes Werkzeug gegen Kriminalität einzusetzen. Deswegen ist diese Art der Gefahrenabwehr auch im Polizeigesetz des Landes NRW geregelt. Die Realität spricht jedoch eine andere Sprache, wie auch Polizeipräsident Hans-Hermann Tirre in einem Interview einräumte:
“[…]Man wird nur schwer den Beweis erbringen können, dass die Kameras präventiv wirksam sind. Allerdings steigt durch sie die Aufklärungsquote, und wir können schneller reagieren[…]”
Das zeigt vor allem, dass die Kameras als repressives Mittel der Strafverfolgung eingesetzt werden. Dahinter steckt mehr, als man auf den ersten Blick vermutet. Kern des Problems ist also die Gesetzgebungskompetenz. Diese liegt nämlich für Prävention bei den Bundesländern, während die Strafverfolgung, also repressives Handeln, beim Bund liegt. Dieses Problem ignoriert der Gesetzgeber gerne, da es seine Handlungsspielräume einschränken würde.Nun mag der Landesgesetzgeber richtigerweise einwenden, dass es ihm nur auf den präventiven Effekt ankomme.Weil das Gesetz aber erwiesenermaßen in erster Linie repressiv wirkt, greift die Argumentation des Landesgesetzgebers zu kurz.
Seitens der Polizei wird auch der Nutzen des Instruments immer wieder betont. Das verwundert nicht. Stünden der Polizei Taser (die sie aus guten Gründen nicht hat) zur Verfügung, würde sie wohl auch ähnlich argumentieren, wenn man ihr diese Waffe wieder wegnehmen wollte.
In NRW wird die flächendeckende Videoüberwachung neben Mönchengladbach auch in Düsseldorf praktiziert. Während Düsseldorf nach Frankfurt die unsicherste Großstadt Deutschlands ist, müssen wir uns in Mönchengladbach sehr ernsthaft fragen, ob die Grundlage für diese Kameras noch gegeben ist. Subjektives Sicherheitsempfinden ist ein wichtiger Faktor, ob man sich in einer Stadt wohlfühlt. Doch auch dazu können Kameras gegenteilig beitragen. Schließlich vermittelt das alleine Vorhandensein das Gefühl, dass diese nötig sind. Da spielen rationale Argumente in beide Richtungen keine große Rolle.
Subjektives Sicherheitsempfinden und – der Argumentation der Polizei folgend – das Ausbleiben des präventiven Effektes sind sehr schwache Argumente für einen derartigen Grundrechtseingriff.