Intelligenz gespart
Zugegeben: Ich habe eine gewisse Freude an der Eskalation. Deswegen amüsiert es mich auch, dass sich die einstige schwarz-gelbe Traum-Koalition öffentlich als „Gurkentruppe“, „Wildsau“ oder „Rumpelstilzchen“ betitelt. Endlich ist mal Schluss mit der „political correctness“ und der sich scheinbar nur in Nuancen unterscheidenden Tagespolitik. So tritt man fröhlich zurück, kassiert nahezu im Handumdrehen Entscheidungen von Bundesministern. Ob sich Spaßpolitiker Westerwelle sein erstes Jahr als Vizekanzler aber auch so lustig vorstellte, darf bezweifelt werden.
Ganz und gar nicht lustig ist, dass es sich dabei nicht um politisches Kabarett handelt, sondern um ganz reale Politik. Also Dinge die uns eigentlich mehr angehen, als uns diese Nicht-Regierung glauben lässt. Nach der NRW-Wahl wollte man also endlich mit dem Regieren anfangen. Nur verlief die Wahl nicht ganz nach Wunsch für die schwarz-gelbe Regierung. Merkel mag vielleicht zufrieden sein, da Rüttgers nun endlich etwas kleinere Brötchen backen muss und die Finanzpolitik nun doch nicht ganz nach den im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorstellungen der FDP umgesetzt werden kann.
Wie bereits allseits befürchtet, wurde nun ein Sparpaket vorgelegt. In das Klausurwochenende ging die Regierung mit der Vorgabe man wolle „intelligent sparen“ – bei dieser Regierung keine Selbstverständlichkeit. Deswegen wurde auch weder Kanzlerin noch Außenminister müde das auch so zu betonen. „Intelligent Sparen“ – da lag die Messlatte natürlich hoch.
Doch trotz aller Vorsätze – was beschlossen wurde, ist nicht nur Murks, sondern sogar gefährlich.
Dass gespart werden muss, steht außer Frage. Möglichkeiten gibt es viele. Die ermäßigte Mehrwertsteuer hätte außer für Grundnahrungsmittel abgeschafft werden können, der Spitzensteuersatz hätte angehoben werden können, man könnte auf eine Finanztransaktionssteuer in Europa drängen, die FDP hätte auf ihre Mehrwertsteuer-Ermäßigung für Hotels verzichten können, und und und…
Nichts dergleichen ist geschehen. Statt dessen wird an denen gespart, die eh schon wenig haben. Das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger soll gestrichen werden. Das bringt jährlich circa 400 Millionen in die Staatskasse. Um diese Zahl einzuordnen: Die Mehrwertsteuer-Emäßigung für Hotels kostet den Staat jedes Jahr schätzungsweise eine Milliarde.
Merkel und Westerwelle bezeichnen dieses Sparpaket als „sozial ausgewogen“ bzw. als „fair und gerecht“. Wie sähe denn bitte „unfair und gerecht“ aus? Bei den Ärmsten zu sparen birgt zudem ein unkalkulierbares Risiko. Mit Sozialleistungen wie den Arbeitslosengeld II (Hartz IV), erkauft sich die Bundesrepublik ein gewisses Maß an sozialem Frieden. Wenn man nun also die Ärmsten, insbesondere Familien, die Hartz IV leben, weiter benachteiligt, ist nur eine Frage der Zeit, bis das sehr demonstrationsfaule Volk aufsteht und beginnt wieder für seine Rechte zu kämpfen. Auch das politisch isolierte und von Seifenopern und Gerichtsshows weichgespülte Publikum wird sein Potential erkennen. In manchen Ecken der Großstädte ticken bereits jetzt soziale Zeitbomben.
Selbst innerhalb der Union sorgen die Vorhaben für Unmut. So wäre sogar der Wirtschaftsflügel der Union mit Steuererhöhungen beim Spitzensteuersatz einverstanden – jedoch würde damit die FDP, die in der Opposition zur Einthemen-Partei verkommen ist, ihr letztes Thema verlieren. Die Steuersenkungspartei würde wohl sogar ihre Stammwählerschaft verprellen.
Und so macht die Union wider aller Vernunft vom Koalitionspartner auf der Nase herum tanzen – wenigstens bis zur Wahl des Bundespräsidenten. So wird bereits spekuliert, dass es nach der Wahl doch Steuererhöhungen geben soll, Merkel aber vor der Wahl, die für ihren Kandidaten Wulff auf die Stimmen der FDP angewiesen ist, ihren Koalitionspartner nicht verprellen möchte.
Bevor es also zum großen Knall im Volk kommt, dürften und noch einige Knallfrösche in der Regierung die Nachrichten etwas unterhaltsamer gestalten. Fast schade, dass es nun bald in die Sommerpause geht, soweit man sich nicht für Neuwahlen entscheidet. Eine solche Selbst-Demontage hat sich zuvor keine Bundesregierung geleistet. Gleichzeitig verabschieden sich immer mehr Spitzenpolitiker der Union vom politischen Tagesgeschehen. Horst Köhler stellt unter Beweis, dass er politischem Gegenwind nicht gewachsen ist und begründet das mit der Würde seines nun abgegebenen Amtes. Roland Koch kündigt seinen Rückzug an, Jürgen Rüttgers ist nach der Niederlage bei der NRW-Wahl angeschlagen und Merkels letzter Kronprinz/Widersacher Christian Wulff soll auf das Amt des Bundespräsidenten weggelobt werden. Ganz nebenbei wurde Arbeitsministerin Ursula von der Leyen beschädigt.
Ginge es dabei nicht um ernste Themen und wäre die Finanzkrise tatsächlich schon so vorbei, wie Merkel es regelmäßig behauptet hat, ließe es sich zur Zeit in der Opposition tatsächlich gut aushalten.