JMStV abgelehnt – so funktioniert Politik
Es gibt wohl kaum einen Blog-Eintrag zu dem ich so oft neu angesetzt habe und, wenn ich fast fertig war, aufgrund neuer Entwicklungen von einer Veröffentlichung abgesehen habe, wie diesem hier.
Letztendlich zeigt der Prozess um den Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV) aber wie Politik funktioniert. Die aktive Meinungsbildung rund um die Novelle des Medienschutzstaatsvertrag fand – grob betrachtet – in den letzten beiden Monaten statt. Der Entwurf der Novelle selber ist schon einige Monate alt, weswegen ich kurz den Inhalt und die Historie skizzieren möchte.
Inhaltlich ist der Jugendmedienschutzstaatsvertrag, wie der Name schon sagt, für den Jugendschutz in den Medien zuständig und existiert so seit 2002. Seitdem gibt es auch die großen Hinweise zur Altersfreigabe auf DVDs und Computerspielen oder die Hinweise vor Filmen im TV.
Die Novelle sah nun vor diese Altersfreigabe auch für Internetseiten einzuführen. So sollte mittels eines Programms, das Eltern installieren und entsprechend konfigurieren können, gewährleistet werden, dass Kinder und Jugendliche keine Seiten besuchen, die gemäß ihrer Klassifizierung nicht für sie geeignet seien. Seiten die diese Klassifizierung nicht haben, könnten so auch nicht besucht werden. Problematisch ist dabei natürlich, dass das Gesetz nur deutsche Seiten betreffen würde und so für viele Kinder und Jugendliche aus einem Word-Wide-Web ein Germany-Limited-Web geworden wäre. Sie wären beispielsweise von Facebook oder auch von Wikipedia ausgeschlossen. Ebenso bestünde für Seitenbetreiber, d.h. Unternehmen, Parteien, Blogger, Vereine und was auch immer es so gibt, die Pflicht ein Klassifizierung vorzunehmen oder, um auf der juristisch sicheren Seite zu stehen, eine pauschale Ab-18-Klassifizierung zu setzen und so unabhängig vom Inhalt Adressaten ihrer Seite auszuschließen. Unklar war auch ob und welche Folgen eine (bewusste) Falschklassifizierung gehabt hätte.
Probleme, wie regelmäßig wechselnde Inhalte oder dem sog. User-generated-Content, also Kommentare zu Artikeln oder Beiträge in sozialen Plattformen, wie meinVZ, Facebook etc. , wurden auch nicht im Gesetzentwurf berücksichtigt.
Verfasst wurde das Werk maßgeblich in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, von wo aus sich die Novelle auf dem Weg durch die Landesparlamente der Republik machte.
Bisher haben alle Länderparlamente zustimmt und auch der ehemalige Ministerpräsident von NRW Jürgen Rüttgers (CDU) hatte seine Unterschrift schon unter den Vertrag gesetzt – jedoch nach der Landtagswahl und bevor Hannelore Kraft zur Ministerpräsidentin gewählt wurde.
In NRW musste allein das Parlament noch zustimmen, damit die Novelle zum 1.1.2011 in Kraft treten kann – anderenfalls ist der Gesetzesentwurf gescheitert.
Nachdem seit Bekanntwerden des Entwurfs es an einzelnen Stellen bereits kritische Stimmen gab, diese aber von der Öffentlichkeit und der Presse kaum gehört wurden, nahm auch die NRWSPD eine vorsichtig-ablehnende Position in Ihr Landtagswahlprogramm auf.
Die Jusos beschlossen auf ihrer Landeskonferenz im September dann eine Ablehnung der Novelle.
Im Anschluss suchten viele Jusos, so auch die Jusos Mönchengladbach, das Gespräch mit ihren Landtagsabgeordneten. Doch auch wenn es kritische Stimmen gab, wurde die Hoffnung auf eine Ablehnung doch etwas gedämpft. Der zuständige Staatssekretär Marc Jan Eumann setzte sich vehement für die Annahme ein. Dennoch versuchten viele Jusos den JMStV bei sich vor Ort zu thematisieren und ein Gespür für das Gesetzesvorhaben auch bei denjenigen zu erzeugen, die sich mit Netzpolitik gar nicht bis selten beschäftigen.
Doch allzu große Hoffnungen keimten selten auf, schließlich wurde noch nie ein Staatsvertrag von einem Länderparlament abgelehnt. So gab es auch schon verschiedene Entwürfe zu einem Entschließungsantrag, der mit dem Vertrag beschlossen werden sollte und die Schwachstellen der Novelle benennen sollte, um bei der nächsten Novelle diese zu beheben. Ein solcher Entschließungsantrag ist aber eher eine moralische Verpflichtung zu verstehen und hat keine Auswirkungen auf das mit dem Vertrag beschlossene Gesetz.
Das war dennoch kein Grund für die Jusos ihr Engagement gegen die Novelle einzuschränken.
Es galt vor allem die Abgeordneten zu erreichen, die sich mit dem Thema nicht besonders auskennen und ihnen die Folgen einer Zustimmung zu dem Gesetz aufzuzeigen – keine leichte Aufgabe, schließlich ging es um das sensible Thema „Jugendschutz“. Zu zeigen, dass eine Ablehnung der Novelle keinesfalls eine Ablehnung von Jugendschutz oder gar eine Lockerung bedeute, war entscheidend.
Währenddessen lehnten der Landesparteitag der FDP und die Landesparteirat der Grünen den JMStV ab. Während das für die FDP als Oppositionspartei kein schwerwiegender Schritt war, sah sich die Grünen-Fraktion „parlamentarischen Zwängen“ unterworfen.
Übersetzt heißt das soviel, wie „wir respektieren den Beschluss des Rates, haben aber nicht genug Rückgrat um gegenüber der SPD auf einen ablehnenden Beschluss hinzuwirken“.
Eine abschließende Position der SPD-Fraktion gab es zu diesem Zeitpunkt nicht.
In den vergangenen drei Wochen kochte das Thema dann auch in den Medien auf. Neben dem Protest in verschiedenen Blogs gab es auch Beiträge auf Eins Live oder bei Spiegel Online.
Ein Anhörung von Experten im Landtag, sowie die Beratung im Medienausschuss sorgten für die nötige mediale Aufmerksamkeit. Noch bestand also die Möglichkeit das Gesetzesvorhaben zu kippen. Die FDP würde also wahrscheinlich nicht zustimmen. Die LINKE hatte ebenfalls eine Ablehnung angekündigt, und bei der Minderheitsregierung aus SPD und Grünen wurde öffentlich noch keine Position verkündet.
Hätte die SPD-Fraktion sich mehrheitlich für eine Zustimmung ausgesprochen, wäre der Vertrag wohl nicht zu verhindern gewesen. Doch Bemühungen der Jusos zeigten allmählich auch bei denen Wirkung, bei denen sie keine offenen Türen einliefen. Geglaubte Mehrheitsverhältnisse in der Fraktion waren so nicht mehr vorhanden.
Die Regierung wäre aber auf die Stimmen der CDU angewiesen, um den Staatsvertrag zu beschließen. Noch vor der Landtagswahl wäre eine Zustimmung für die CDU-Fraktion wohl reine Formsache gewesen, immerhin hatte ihr damaliger Vorsitzender und Ministerpräsident den Vertrag ja schon unterschrieben. Gestern kippte jedoch etwas überraschend und zur Freude der Jusos die Stimmung auch in der CDU, die sich – schließlich ist sie in der Opposition – mehrheitlich auf eine Ablehnung verständigte.
Nun wird also der Landtag, so wie es aussieht, einstimmig die Novelle ablehnen.
Ein politischer Erfolg für die Jusos und auch für die Landesregierung, die nun erstmals einem Staatsvertrag nicht zustimmt. Ein Erfolg jedoch, den kaum einer bemerken wird – schließlich ändert sich nichts.
Er zeigt jedoch, wie Politik funktioniert und das es sich lohnt, sich zu engagieren und auch in Parteien an der Meinungsbildung mitzuwirken. Da hilft es nicht allein in Blogs oder bei Facebook seine Meinung kundzutun, sondern das sachliche Gespräch mit den verantwortlichen Personen zu suchen. Auch wenn die meisten Gespräche unbemerkt von der Öffentlichkeit stattfanden und es viel Arbeit war, wurde doch ein Zeil erreicht, das zuvor in sehr weiter Ferne schien.