Meine erste Landeskonferenz der NRWJusos
oder: Inmitten von Crackern, Anträgen und verdammt guter Gesellschaft
Da sein wollte ich um Viertel nach acht. Wirklich da war ich erst um halb neun.
Meine erste Landeskonferenz der NRWJusos begann also damit, dass ich meine beiden Genoss*innen mit dem Auto später abholte als geplant. Und so düsten Nina, Joshua und ich am Wochenende des 3. und 4. Septembers auf und davon Richtung Bonn, wie auch unsere anderen Mönchengladbacher*innen.
Tütenweise Cracker, gute Laune und eine Roadtrip-Playlist mit „Running Up that Hill“ und „Total Eclipse of the Heart“ machten die Fahrt kurzweilig. Mit dem Passieren des ersten Bonner Stadtschildes wurden Kate Bush und Bonnie Tyler allerdings im hohen Bogen aus dem Autoradio geschmissen. Arbeiter*innenlieder, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie in der Roadtrip-Playlist waren, schepperten durch die Lautsprecher. Coming-of-Age-Filme mit Juso-Energy sind eine Marktlücke, die ich erst in diesem Moment entdeckt habe.
Mit den Rucksäcken (und noch mehr Crackern) im Gepäck machten wir uns vom Parkhaus aus zum Brückenforum auf. Dort angekommen bekamen wir Namensaufkleber, bestätigten unsere Anwesenheit und begaben uns auf die Sitzplätze der Gäste. Unsere anderen Mönchengladbacher Genoss*innen waren natürlich schon da. Die waren ja auch pünktlicher losgefahren.
Kaum dass ich saß, wurde mir erst einmal bewusst, wie viele Menschen hier zusammengekommen waren. Das Brückenforum war voller Jusos aus allen möglichen Unterbezirken und Kreisverbänden. Natürlich hatte ich es mir größer vorgestellt als irgendeine kleine Sitzung in Mönchengladbach, aber so konkret war meine Vorstellung nie geworden. Vielleicht würde eine Umrechnung in Fußballfelder helfen. Vielleicht muss man aber auch einfach mal selbst dagewesen sein. Wir Mönchengladbacher waren jedenfalls zahlenmäßig stark vertreten, das konnte ich gerade noch so zählen.
Mit einer kurzen Verzögerung begrüßten uns unsere Gastgeber*innen – der Unterbezirk Bonn – sowie der Landesvorstand und eröffneten die Lako. Zu Beginn wurden ein paar Konzepte, Zahlen und Rückblicke aus den letzten Jahren präsentiert. Spannend für mich waren besonders das Awareness-Konzept und auch die quotierte Redeliste; mit beidem kam ich an diesem Wochenende zum ersten Mal in Berührung. Das Zusammensein basierte auf einer Consent-Culture, in der man aufeinander Acht gab, Grenzen respektierte und sich Zustimmung einholte. Sobald nur noch Männer auf der Liste standen, wurde die Redeliste geschlossen – FINTA und Männer kamen stets abwechselnd zur Sprache.
Was leider auch früh zur Sprache kam, war die WLAN-Situation im Brückenforum. Das WLAN war ziemlich schnell überlastet, weshalb das Abstimmungstool streikte. Abstimmungen per Hand waren kaum auszuzählen, und so kam es schließlich zu einer stückweisen Stimmabgabe der Delegierten. Recht plötzlich verabschiedeten wir uns daher in die Mittagspause, und obwohl mir noch gar nicht nach Frühstück war, schloss ich mich doch einer Gruppe Genossen an und wir begaben uns zu einer Pizzeria. Ausgestattet mit Pizzen suchten wir nach einer netten Sitzgelegenheit und ließen uns schlussendlich am Rhein nieder. Ich teilte mir mein Essen leider mit einer Wespe, und an dieser Stelle könnte ich mir bestimmt irgendeinen unlustigen Witz mit Schwarz-Gelb aus dem Kreuz leiern, aber ich verzichte darauf. Die Pizza schmeckte mit Rheinblick direkt doppelt so gut.
Zurück im Brückenforum waren die Abstimmungsprobleme beseitigt und das Programm konnte fortgeführt werden. Mit großer Mehrheit wählten die delegierten Genoss*innen Nina Gaedike zu unserer neuen Landesvorstandsvorsitzenden und besetzten weitere Ämter. Anschließend ging es an die Besprechung der Anträge, welche bereits vorab im Antragsbuch studiert werden konnten. Jeder Antrag wurde ausführlich besprochen, debattiert und kommentiert, bevor er zur Abstimmung gestellt wurde. Dabei konnten die Beiträge der Redner*innen sowohl inhaltlich als auch rhetorisch überzeugen.
Erneute Pause. Abendessen. Ich machte ich mich auf die Suche nach dem Aldi, von dem hier schon alle schwärmten. Was heißt „schwärmten“. Er war halt da, direkt um die Ecke in einer kleinen Passage, und das kam total gelegen. Ich stockte meinen Süßwarenvorrat fleißig auf. Zuerst dachte ich, das sei Einbildung, doch an meiner Kasse standen ausnahmslos Jusos. Ich frage mich nach wie vor, ob diese Filiale jemals so viel Umsatz gemacht hat wie an diesem Tag.
Zurück auf dem Platz angekommen, aß ich wahllos Süßigkeiten, bis das Wort „UNO“ in der anderen Ecke unserer Gladbacher Sitzreihe fiel. Da sah ich meine Chance und ergriff sie. Wir spielten UNO Flip, ohne die Regeln zu kennen. Das änderten wir auch nicht. Trotz des Studierens der Anleitung ignorierten wir jegliche Regeln und deuteten die Karten nach Laune. Sämtliche Theorien dazu, welche Farbe jemand auf der Hand haben könnte und welche nicht, konnten falsifiziert werden. Obwohl wir uns alle auf Alex eingeschossen und ihm ständig unsere Aussetzen- und Ziehen-Karten zugespielt hatten, warf er als Erster die letzte Karte ab. Ich wurde als Zweite fertig. Immerhin.
Die Konferenzleitung verkündete die Fortsetzung der Antragsbesprechungen, und so begaben wir uns wieder auf unsere Plätze und lauschten dem nächsten Antrag. In unserer Reihe herrschte schon helle Aufregung, denn bald würde auch unser Antrag zum Thema Inklusion diskutiert werden. Ich war äußerst froh, dass ich nicht im Rampenlicht stehen musste, sondern dass unsere Vorsitzende Mana den Antrag souverän einbrachte. Dass der Antrag auch noch einstimmig angenommen wurde, war ein guter Grund zum Feiern. Während wir unsere Freude darüber noch auskosteten, kamen schon die nächsten Anträge auf den Tisch. Wir wollten schließlich noch mehr geschafft bekommen.
Allmählich neigte sich der Tag dem Ende zu und die ehemaligen Vorstandsmitglieder wurden offiziell verabschiedet. Jedes Mitglied erhielt eine ausführliche Würdigung und emotionale Dankesworte, dass im Saal definitiv die eine oder andere Träne verdrückt wurde. Gegen kurz vor Mitternacht traten wir Gäst*innen den Weg zum Hostel an; die einen für einen Zwischenstopp vor der Party, die anderen, um zu bleiben.
Die Nacht in unserem spartanischen Hostel war kurz gewesen. Auf etwa drei Stunden Schlaf – aber immerhin null Promille – zogen Nina und ich die Betten ab, machten uns im Bad fertig und verließen mit den Jungen die Unterkunft. Dass Lenni mir half, mein irgendwo geparktes und hoffentlich nicht abgeschlepptes Auto wiederzufinden, war meine Rettung. Auf dem Weg zur Tagungsstätte hielten wir bei Bäckereien, bis wir im Brückenforum alle wieder aufeinandertrafen.
Zugegeben, den meisten Genoss*innen stand die gestrige Party ins Gesicht geschrieben und die Motivation, heute noch Anträge zu besprechen, war nicht mehr so groß wie vor 24 Stunden. Die nächsten Wahlen wurden vorgenommen, neue Anträge besprochen, Stimmkarten sausten in die Höhe und es kamen reichlich Wortmeldungen. Auch unser Antrag zur Chatkontrolle kam zur Sprache: Lin, unsere stellvertretende Vorsitzende, brachte unseren zweiten Antrag besonnen ein, und auch er wurde mit großer Stimmmehrheit angenommen. Die Veranstaltung neigte sich dem Ende zu und wir nutzten eine weitere Pause, um kurz ein Gruppenfoto zu schießen. Es ist übrigens nicht empfehlenswert, sich rot zu kleiden, wenn man vor einer roten Fotowand mehr als nur ein schwebender Kopf sein möchte.
Um kurz vor 14 Uhr näherten wir uns der Zielgeraden. Die letzten Anträge wurden diskutiert, die letzten Danksagungen gesprochen und ehe wir uns versahen, war die Konferenz für beendet erklärt. Natürlich nicht, ohne vorher noch einmal die Internationale zu singen, deren Text ich, ehrlich gesagt, noch immer nur so halb kenne. Alle Anträge, die nicht besprochen wurden, gingen nun an einen Ausschuss, der unsere Diskussionsarbeit fortsetzen würde.
Nach zwei ereignisreichen und emotionalen Tagen packten wir also unsere Taschen und traten die Heimreisen an, jeder wieder in Richtung seines Fleckchens von NRW. Es war eine aufregende Zeit und ich würde immer wieder mitfahren. Nur beim nächsten Mal mit einem anderen Schlafrhythmus, dem normalen UNO und noch mehr Crackern.