Queer Liberation – von Stinkwanzen und Drag Queens
CSU meets GOP, but literally
Anfang Mai besuchten führende Politiker*innen der CSU den republikanischen Gouverneur von Florida, Ron DeSantis. Darunter auch: ehemalige Minister*innen, wie Dorothee Bär und Andreas Scheuer. Transnationale Besuche von Politiker*innen mit ihren Schwesterparteien sind an sich nichts Ungewöhnliches, wichtig ist eben, wer hier besucht wird. DeSantis seinerseits ist international bekannt durch seine queerfeindliche, frauenfeindliche und insgesamt reaktionäre Politik, die er selbst als „anti-woke“ beschreibt. Dazu gehören Verbote von Abtreibungen bereits nach der sechsten Woche, das Verbot von Büchern, die sich mit sexueller Vielfalt auseinandersetzen, das Untersagen von Erwähnung jeglicher Existenz von nicht heteronormativen Lebensplänen in Grundschulen, sowie das Verbot geschlechtsangleichender Maßnahmen für trans Jugendliche. Darüber hinaus hat er in Florida die Hürden für die Todesstrafe gesenkt und diese auch bei unklaren Urteilen ermöglicht.
Gab es dahingehend eine Distanzierung oder Kritik seitens seiner bayrischen Gäste? Nein, im Gegenteil gab es Lob seitens Andreas Scheuer, der laut eigenen Aussagen DeSantis’ Analysen sogar teilt. Währenddessen redet Dorothee Bär von „queeren Rändern“ und delegitimiert damit selbstverständliche Forderungen nach Gleichberechtigung. Als DeSantis Ende Mai seine Präsidentschaftskandidatur bekanntgab, gab es Glückwünsche, Lobhudelei und Hoffnungen auf ein erneutes Treffen. Trotz allem.
Seitens führender Bundespolitiker*innen sind solche Aussagen mehr als nur gefährlich. Ist der DeSantis-Besuch doch mitnichten ein singuläres Ereignis. Zum ungefähr gleichen Zeitpunkt plant die Stadtbibliothek München eine Lesung für Kinder. Durchgeführt werden soll sie von der Drag Queen Vicky Voyage und dem Drag King Eric BigClit. Von Seiten der Unionsparteien und der AfD gab es lauthals Kritik. Sie fürchten eine Frühsexualisierung durch die Veranstaltung, die sich an Kinder ab vier Jahren richtet. Und fordern ein Verbot. Doch warum? Im vorgelesenen Buch geht es um das Kaninchen Marlon, welches einen (gleichgeschlechtlichen) Partner fürs Leben findet. Anstoß daran nimmt im Buch nur eine Stinkwanze, da es ja beides Jungen seien.
Die Stinkwanzen von der Union echauffieren sich nun zutiefst über den Namen des Drag Kings, wäre dieser doch unangemessen für das junge Publikum. Erinnere ich mich zurück an meine Gedankenwelt in der Grundschule, so hätte mir der Beiname BigClit wohl aufgrund des komischen Klanges ein kleines Lachen beschert, mich aber keineswegs sexualisiert. Warum auch, ich kannte die Bedeutung des Wortes ja nicht und darauf wäre während der Veranstaltung auch niemand eingegangen. Und genau so funktionieren Kinderhirne. Sie interpretieren weder in den Namen noch in die Kostüme der Drag-Darsteller*innen etwas hinein. Sie betrachten die gesamte Veranstaltung als das, als das sie auch geplant wurde: als Unterhaltung.
So moralisch, dass es schon Doppelmoral ist?
Bei all der Empörung kam mir irgendwann der Gedanke in den Kopf: Warum eigentlich erst jetzt?
Schließlich tourt seit Jahren die Drag Queen Olivia Jones durch ganz Deutschland und liest Kindern ebenfalls aus Büchern über sexuelle Vielfalt jenseits von Heterosexualität vor.
Doch das ist nicht der einzige Fall von Doppelmoral. Wo waren die Rufe nach Kinderschutz letzten Sommer, als aus jedem zweiten Radio der Republik „Layla“ ertönte? Wo sind diese Rufe, wenn es um unser veraltetes Schulsystem, um mehr Klimaschutz oder um soziale Absicherung geht? Wo wird da von Konservativen nach Kinderschutz gerufen? Und sexualisieren heterosexuelle Eltern ihre Kinder nicht von der Sekunde ihrer Geburt an? Oder was sollen dann Strampelanzüge mit der Aufschrift „Sperrt eure Töchter ein“ oder die vollkommende Sexualisierung von Freundschaften zwischen männlichen und weiblichen Kleinkindern, wenn nicht Frühsexualisierung von Seiten Heterosexueller?
Gab es bei all dem konservatives Tränenvergießen? Gab es reaktionäre Kommentare und Kolumnen seitens der Springermedien?
Die Empörung über Drag spielt sich parallel zu einem immer weiter ausufernden Hass auf trans Menschen ab. Dieser manifestiert sich zunehmend in den USA bereits in Gesetzen, unter anderem vorgebracht vom Poster Boy der CSU, Ron DeSantis.
Das Selbstbestimmungsgesetz
Doch auch in Deutschland unter seiner vermeintlich progressiven Ampelkoalition ist nicht alles perfekt. Das Gute jedoch zuerst: bald wird das demütigende Transsexuellengesetz durch ein neues „Selbstbestimmungsgesetz“ ersetzt werden, dass die Änderung des Namens und Personenstands unheimlich erleichtern soll. Das ist jetzt schon ein großer Erfolg. Das Schlechte: In ihm haben einige Passagen Einzug gefunden, die mehr als nur problematisch sind. So bedient der bisherige Referent*innenentwurf des Gesetzes rechte Talking Points. Etwa, dass alles dafür getan wird, damit Männer sich nicht als trans Frauen ausgeben um Zugang zu geschützten Räumen für Frauen, wie etwa Frauenhäusern, Umkleiden oder Toiletten, zu erlangen. Dort könne im Zweifel dann vom Hausrecht gemacht werden, um betroffenen Personen den Zugang zu verweigern. Dabei brauchen übergriffige Männer nicht erst solch ein Gesetz, um zu Tätern zu werden – sie tun es bereits. Das „Argument“, welches von TERFs (Trans Exclusionary Radical Feminists) und offen rechten Transfeind*innen nur allzu gerne angebracht wird, hat damit womöglich Einzug in ein kommendes Bundesgesetz gehalten. Das zeigt, wie tief transfeindliche Ideologie in Deutschland verwurzelt ist.
Warum das alles garnicht mal so geil ist
Sei es zuletzt Transfeindlichkeit, der Hang zu Bullshit-Kampagnen seit der letzten Bundestagswahl oder auch die jüngste Infragestellung der europäischen Menschenrechtskonvention durch Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn: Die Union sollte sich davor hüten, zu viel von den Republikanern in den USA abzukupfern. Denn damit begibt sie sich auf einen äußerst gefährlichen Kurs. Nicht nur für sich, sondern auch für die Demokratie und für marginalisierte Gruppen in Deutschland. Seien es FINTA (Frauen, Inter, Nichtbinäre, Trans und Agender) im Allgemeinen, Queers oder BIPoCs (Black, Indigenous and People of Colour).
Guckt man sich nämlich die erschreckende Entwicklung der Republikaner an, so kann man sich fragen, was für Forderungen als nächstes folgen könnten. Eine weitere Verschärfung der Abtreibungsgesetze, Verbannung von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt aus den Lehrplänen? In den von den Republikanern regierten US-Bundesstaaten ist dies längst Realität. Doch es wären nicht die ersten Diskurse, die mit etwas Verzug über den Atlantik nach Europa kommen.
Blick in die eigene Community
Bei all der problematischen Entwicklung seitens cis-heterosexueller Konservativer wäre es aber ignorant, nicht in die eigene Queer-Community zu gucken.
Die Entsolidarisierung von weißen (meist) männlichen cis Menschen in der Community mit trans Menschen ist besorgniserregend. Weiße schwule cis Männer sind innerhalb der LGBTQ+ Community die Gruppe mit den meisten Privilegien und scheinbar halten einige das für selbstverständlich und unveränderbar.
Trans Menschen sind damals wie heute für die Rechte der gesamten Community auf die Straße gegangen und haben ihr Leben dafür aufs Spiel gesetzt und auch zu oft geopfert. Die Stonewall Riots wären undenkbar gewesen ohne sie. Ihnen heute die Solidarität zu entziehen, sich dem transfeindlichen Diskurs anzuschließen, nur um Reaktionären zu gefallen, ist nicht nur armseliges „Pick-me“- Verhalten, sondern auch noch ausgesprochen naiv. Entwicklungen, nicht nur in den USA, auch in Polen, Russland oder Ungarn, zeigen doch, dass sie es nicht ausschließlich auf trans Menschen abgesehen haben, sondern auch auf Schwule, Lesben, Bisexuelle. Also auch selbsterklärten „LGBs“, die mit T und Q nichts mehr zu tun haben wollen. Und wenn man sich so manch transfeindliches Plädoyer anhört, dann kommt einem das nur allzu bekannt vor. Denn es sind exakt dieselben Vorwürfe, die sich Schwule und Lesben vor Jahrzehnten anhören mussten. Nämlich, dass sie Pädophile und Kindesmisshandler*innen seien, die man von Kindern fernhalten müsse. Es sind dieselben Muster und es wäre naiv zu glauben, dass Errungenschaften wie Recht auf Eheschließung oder Adoption nicht wieder rückgängig zu machen sind.
Fazit: Alles scheiße kann wer reden?
Die aktuellen Entwicklungen sind beängstigend. Die Fallzahlen querfeindlicher Hassverbrechen steigt immer weiter an. Die Gefahr eines reaktionären Roll-Backs in Deutschland ist groß. Die AfD ist bundesweit und besonders im Osten im Aufschwung und die Union bedient sich auf der Suche nach einer neuen Identität immer mehr offen rechtsradikalen Talking Points. Unsere Rechte sind zunehmend Angriffen von rechts ausgesetzt und müssen von der gesamten Community verteidigt werden. Wer darauf hofft, von Konservativen akzeptiert zu werden und gleichzeitig andere Mitglieder der Community vor den Bus wirft, ist nicht nur undankbar, sondern auch hoffnungslos naiv.