Scheint die Sonne auch für Nazis?
– ich könnt’s nicht verstehen.
So sangen die Ärzte in „Sommer nur für mich“ im Jahr 2000. Doch darf sich ein so fröhlicher Singsang einer populären Band denn mit diesem Thema beschäftigen? Darf man ohne bedeutungsschwangere Betroffenheit das Thema Faschismus aufgreifen? Sind das nicht vollkommen bescheuerte Fragen? Ja, sind es!
Doch leider stellen sich diese Fragen in den letzten Jahren immer wieder und mit der medialen Vernetzung und dem Nachrichten- und Empörungsdruck des Internets auch häufiger. Wie geht man mit rechtem Gedankengut um? Soll man es thematisieren, soll man es mit Nichtachtung strafen? Hilft aktives Weggucken?
Das ist keine einfache Frage und es gibt auch keine einfache Antwort. Die Debatten sind so zahlreich, wie die Erscheinungsformen des braunen Gedankenguts.
Grob gesagt, gibt es zwei Möglichkeiten: entweder ich gucke hin oder ich gucke weg. Doch das ist leichter gesagt, als getan.
So hat sich die Rheinische Post vor Ort entschieden, die Berichte über rechte Umtriebe in der Stadt auf ein Minimum zu reduzieren, um diesen Menschen nicht mehr mediale Aufmerksamkeit als nötig zukommen zu lassen. Wenn es irgendwo in der Stadt Hakenkreuzschmierereien gab, ist das eine kurze Meldung wert, mehr nicht. Die Motivation der RP ist nachvollziehbar, aber auch bequem. So werden in unregelmäßigen Abständen auch Leserbriefe eines Udo Walendy veröffentlicht. Den Nachnamen kennt man in Mönchengladbach eher durch seine Schwester Oda Walendy, die sich durch ihre Seidenmalerei und als Urenkelin des Industriellen Carl Brandts von sich Reden macht. Udo Walendy hingegen ist mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilt und inhaftiert worden. In den 1970er Jahren war er Vorsitzender der NPD in NRW und er zählt zu den führenden Geschichtsrevisionisten in Deutschland. Auch wenn er nicht mehr Mitglied der NPD ist, so ist er nach wie vor ein gern gesehener Redner auf völkischen Veranstaltungen. In seinem, bzw. dem Verlag seiner Frau sind zahlreiche den Holocaust leugnende Schriften erschienen.
Obwohl keine Verpflichtung zum Abdrucken der Leserbriefe besteht, veröffentlicht die RP diese – unkommentiert. Das ist hoffentlich auf Ahnungslosigkeit zurückzuführen.
Doch es zeigt: wer nicht hinguckt, informiert sich nicht ausreichend und es besteht die Gefahr instrumentalisiert zu werden.
Oder darf man eine kleine, rechte Partei wie Pro NRW dadurch aufwerten, indem man gegen sie demonstriert? Diese Frage ist natürlich suggestiv. Ja, Pro NRW plant die Proteste mit ein. Das ist bekannt. Sollte man sie nicht genau deswegen mit Nichtachtung strafen?
Einfach zuhause bleiben, im Internet eine Erklärung abgeben und die handvoll Rechtspopulisten vor den jeweiligen Objekten ihres Hasses austoben zu lassen, ist natürlich auch eine Möglichkeit – aber nicht die bessere.
Was sagt es denn über eine Gesellschaft aus, die kommentarlos zulässt, dass Menschen vor Asylantenheimen den Asybewerbern pauschal Missbrauch unterstellen? Gerade bei Demonstrationen geht es darum ein Zeichen zu setzen, das zeigt, dass man mit der Meinung nicht einverstanden ist. Daraus konstruiert Pro NRW gerne einen linken Zeitgeist, der für alles Verständnis habe. Das ist ziemlicher Schwachsinn, wie sich besonders bei der Salafisten-Problematik zeigte. Bisher ging die Taktik von Pro NRW nicht auf und gemessen an den Wahlergebnissen spielen Pro NRW die Gegendemonstrationen nicht in die Hände.
Pro NRW ist nur eine kleine Gruppierung, aber wehret den Anfängen! Wer schweigt, schaut weg und so drängt sich das berühmte Zitat Martin Niemöller geradezu auf:
„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
In Mönchengladbach steckt der Protest gegen Rechts in den Kinderschuhen und wächst da auch nicht richtig raus – was durchaus an der lokalen Berichterstattung und dem damit zusammenhängenden öffentlichen Bewusstsein für die Problematik liegen kann. Umso beeindruckender finde ich es, wenn sich Köln quer stellt und an Häuserwänden Solidaritätsbekundungen stehen und nicht die Frage nach dem Sinn von Protesten und Gegendemonstrationen gestellt wird.
Ein anderes Beispiel bei dem sich die Fragen aufdrängt, ob Schweigen nicht besser gewesen wäre, ist die aktuelle Diskussion um den Echo und die Nominierung von Frei.Wild. Hat Frei.Wild dadurch nicht noch mehr Aufmerksamkeit, als wenn man ihre Nominierung einfach hingenommen hätte? Mehr Aufmerksamkeit erhielten sie dadurch zweifellos – doch ist es scheinheilig so zu tun, als hätte diese Band zuvor keine Aufmerksamkeit genossen. Sie haben ihre Nominierung vor allem dadurch erhalten, dass sie ihr letztes Album auf Platz 2 der Album-Charts platzieren konnten.
Nur weil deren Musik nicht im Radio läuft, bedeutet das nicht, dass die keiner hört.
Wer sich über die Aufmerksamkeit beschwert, verdreht hier die Täter-Opfer-Rolle. Sollte man Kraftklub einen Vorwurf machen, weil sie es nicht kommentarlos hinnehmen, in einer Reihe mit Frei.Wild genannt zu werden? Sollte man Mia., einen Vorwurf machen, weil sie das genauso sehen? Soll man der Visions, dem Tätowier Magazin oder Jägermeister einen Vorwurf machen, weil sie kein Festival unterstützen wollen, das Frei.Wild als Headliner bucht? Soll man Jennifer Rostock einen Vorwurf machen, weil sie im Publikum keine Frei.Wild-T-Shirts sehen wollen?
Sind die nicht alle furchtbar intolerant? Haben die das Motto „keine Toleranz für Intoleranz“ nicht furchtbar überstrapaziert? Und überhaupt: Wird Frei.Wild nicht furchtbar missverstanden?
Wenn man den Fans von Frei.Wild glauben darf, ist das alles eine groß angelegte Medienkampagne einer diffusen linken Mehrheit.
Für sie sind sie schon die Echo-Gewinner der Herzen. Und Frei.Wild freuen sich über die Aufmerksamkeit und die Gelegenheit ihr Image von „Wir-gegen-den-Rest-der-Welt“ weiter pflegen dürfen. Eine Taktik die in den 90ern die Böhsen Onkelz schon kommerziell sehr erfolgreich praktizierten. Zwar gibt bzw. gab es allenthalben von beiden Bands Distanzierungen von Nazis – was deren Beliebtheit im rechten Lager aber keinen Abbruch tat. Denn das Feld des Rechtsradikalismus und -extremismus ist weit.
Frei.Wild mögen sich nicht als „Nazis“ sehen (das tun Pro NRW übrigens auch nicht), rechts sind sie dennoch. Sie bedienen sich in ihren Liedern einer Blut-und-Boden-Romantik, die sich nahtlos in klassische rechte Gedankenmuster und Wertvorstellungen einfügt. Da will dann auch die verkaufsfördernde Einordnung als „unpolitisch“ nicht ganz in Bild passen.
Das bedeutet nicht, dass alle Frei.Wild-Anhänger rechts sind, aber das Potential ist vorhanden und man muss sich entscheiden, mit wem man sich gemein machen möchte.
Die beschriebene Fälle haben eine offensichtliche Gemeinsamkeit. Rechtes Gedankengut tarnt sich. DEN Nazi gibt es nicht. Es ist nicht zwingend der Typ mit Scheitel oder Glatze und den Springerstiefeln. Und wenn jemand so aussieht, ist es noch lange kein Nazi. Heute treten die Rechten als freundliche Nachbarn auf, es ist vielleicht der lustige, langhaarige Heavy Metal-Fan oder der biedere Typ im Anzug. Keiner von Ihnen muss Hitler verehren oder den Holocaust leugnen oder gar gut heißen. Es gibt diejenigen, die antisemitische Positionen vertreten oder denjenigen, der seine Islamophobie hinter einem Bekenntnis zur christlich-jüdischen Geschichte Europas versteckt. Es bedarf einiger Mühe die Rechten in unserer Gesellschaft zu entdecken. So liegt es in der Verantwortung einer und eines jeden einzelnen, wie bewusst wir mit rechten Tendenzen und rechtem Gedankengut umgehen.
Scheint die Sonne auch für Nazis? – Wenn’s nach mir geht, tut sie’s nicht.